Interview zum Thema Leitungswasser

Ein Interview mit Samuel Höller, Gründer und Geschäftsführer des a tip: tap e.V.

 

1. Sie arbeiten für den Verein „a tip tap“. Was ist das für ein Verein und wie kam es zu dem Namen?
Wir haben als internationale Jugendinitiative 2010 gestartet und uns deshalb einen englischen Namen gesucht. Auf deutsch: ein Tipp: Leitungswasser. Und der Name ist Programm: uns geht es darum, Leitungswasser zum neuen Normal in der Gesellschaft zu machen und es in allen Lebenslagen verfügbar zu machen. Wir klären Bürger*innen zu den Vorteilen von Leitungswasser auf, führen interaktive Bildungsangebote zum Thema Wasser durch, unterstützen Unternehmen und Organisationen beim Umstieg von Flaschen- auf Leitungswasser und setzen uns auf politischer Ebene für eine hohe Qualität und Wertschätzung von Leitungswasser ein.
 

2. Kann man denn das Wasser überall aus den Leitungen in Deutschland einfach trinken? (Thema Qualität/Hygiene)
In Deutschland gilt die Trinkwasserverordnung, die gerade noch einmal überarbeitet wurde. Sie regelt die Pflichten der Wasserversorgungsunternehmen sowie der Überwachungsbehörden. Auch legt sie die zu kontrollierenden mikrobiologischen und chemischen Parameter fest und wie häufig diese untersucht werden. Leitungswasser ist damit eines der am strengsten kontrollierten Lebensmittel und hat eine Topqualität. Die Analysewerte finden sich meist auf der Website des Versorgers. Dieser ist auch der richtige Ansprechpartner bei Nachfragen oder Wassertests. In Einzelfällen kann es natürlich zu Verunreinigungen am Wasserhahn (z. B. auf öffentlichen Toiletten) kommen. Aber wenn das abgestandene Wasser abgelaufen ist, sollte die Qualität stimmen. Persönlich trinke ich überall das Leitungswasser in Deutschland.

 

3. Warum empfehlen Sie Wasser aus der Leitung zu trinken? (Vorteile Gesundheit/Nachhaltigkeit/Wirtschaftlichkeit/Verfügbarkeit)

Das Trinken von Leitungswasser spart Plastikmüll, CO2, Geld und unnötige Transportwege. Es ist ein wunderbares Beispiel für nachhaltigen Konsum: ein regionales Produkt, verpackungsfrei und emissionsarm – und damit ein leichter Einstieg zu einem nachhaltigeren Lebensstil für alle Menschen in Deutschland. Außerdem müssen die Menschen bei gut zugänglichem Leitungswasser weniger auf zuckerhaltige Getränke zurückgreifen, was zu einer gesunden Ernährung beiträgt.

Leitungswassertrinken spart bares Geld. Für einen Euro bekommt man etwa 200 Liter Trinkwasser. Durch den Umstieg von einem der meistgekauften Mineralwässer in Deutschland auf Leitungswasser spart ein Drei-Personen-Haushalt mehr als 1.000€ pro Jahr.

Seit den 1970er Jahren hat sich der Verbrauch von Flaschenwasser in Deutschland um das 15fache erhöht.

Durch den Umstieg auf Leitungswasser lassen sich viele CO2-Emissionen einsparen. Es entfallen die Flaschenproduktion und Reinigung bzw. Recycling sowie viele Transportwege und auch die Einkaufsfahrt mit dem Auto. Im Schnitt entstehen beim Flaschenwasser fast 600x mehr Emissionen als beim Leitungswasser.

 

4. Was ist besser: Leitungswasser oder Mineralwasser? (jeweils Vorteile und Nachteile bzw. Chancen und Risiken)
Aus ernährungsphysiologischer Sicht gibt es im Durchschnitt keine Unterschiede zwischen Trinkwasser aus der Leitung und Flaschenwasser. Beide sind zum Durstlöschen gut geeignet.  Allerdings ist Leitungswasser günstiger und umweltfreundlicher. Die Trinkwasserverordnung sieht die Überprüfung von mehr Parametern vor als die Mineralwasserverordnung. Obwohl es dem Namen nach so klingt, lässt sich ganz und gar nicht pauschal behaupten, dass Mineralwasser stets einen höheren Mineralstoffgehalt aufweist. Allerdings können Mineralwässer auch dabei helfen, gezielt bestimmte Mineralstoffe wie Calcium oder Magnesium abzudecken. Ein vergleichender Blick auf das Etikett bzw. in die Wasseranalyse lohnt sich. Wer das Wasser lieber sprudelig mag, kann auch Leitungswasser mit Kohlensäure versetzen. Durch den Umstieg entsteht weniger Müll und ohne Kästen und Leergut werden auch Lagerkapazitäten frei. Demgegenüber müssen für die Umstellung wiederbefüllbare Flaschen oder Karaffen angeschafft werden, die entsprechend gespült werden müssen. Je nach Größe des Betriebs können mehrere Tausend Euro pro Jahr durch die Umstellung eingespart werden.
 
5. Wie können Verpflegungsverantwortliche Leitungswasser am besten in Kitas, Schulen, Betrieben, Kliniken und Senioreneinrichtungen verfügbar machen? Welche praktischen Tipps haben Sie dazu?
Der Zugang zu Leitungswasser ist ausschlaggebend. Sinnvoll sind hygienisch einwandfreie Wasserhähne mit der Möglichkeit, Karaffen und Flaschen aufzufüllen, vor allem, wenn es sich um kleinere Einrichtungen wie Kitas handelt. Für größere Einrichtungen empfehlen sich leitungsgebundene Trinkspender z. B. auf dem Flur oder in der Teeküche. Darin kann dann optional auch eine Kühlung oder ein Aufsprudler eingebaut werden. Für vulnerable Gruppen in Pflegeeinrichtungen kommen auch Filtermöglichkeiten in Betracht, die weitere Spurenstoffe aus dem Wasser entnehmen, die einem gesunden Menschen nicht schaden.
Hinzu kommen geeignete Gefäße wie wiederbefüllbare Trinkflaschen (z. B. im Design der Einrichtung), Karaffen und Gläser, die auch in Spülmaschinen gesäubert und desinfiziert werden können. Gerade an Hitzetagen muss ausreichend Flüssigkeit zur Verfügung gestellt werden, was durch ein frühzeitig eingerichtetes System mit Leitungswasser sinnvoll einsetzbar ist. Gibt es einen Pächter bzw. externen Caterer für die Kantine oder Mensa, sollte man auch die Möglichkeit besprechen, zum Mittagessen Leitungswasser anzubieten. Der Verein a tip: tap bietet regelmäßig Schulungen zu Wasserspendern oder Trinkwasser in der Altenpflege an. Nach der Teilnahme wird eine Übersicht zu möglichen Modellen und Preisen übersandt. Aktuelle Termine können über die Webseite eingesehen werden: https://atiptap.org/beratung/online-beratung/

 

 

6. Kennen Sie Einrichtungen/Caterer, die das Leitungswasser-Angebot umgesetzt haben? Wie wurde dabei vorgegangen? Welche Vorteile/Nachteile haben sich dadurch ergeben? Wie ist die Akzeptanz bei den Tischgästen? (Praxisbeispiele, Referenzen) Hier würden wir uns insbesondere über Praxisbeispiele für verschiedene Lebenswelten und unter verschiedenen Bedingungen (Standorte, Temperatur, Anschlussmöglichkeiten, Wartungszeiten und Bedarf) freuen.

Wir haben die Auszeichnung “Leitungswasserfreundlich” ins Leben gerufen, um Vorreiter auszuzeichnen, die Leitungswasser in ihrer Organisation etabliert haben, kein Budget mehr für Flaschenwasser ausgeben und darüber informieren. Seitdem wir die AWO Saal a.d. Donau in Bayern als erste Altenpflegeeinrichtung ausgezeichnet haben, haben sich noch viele weitere Einrichtungen auf den Weg der Umstellung gemacht und wurden teils auch ausgezeichnet. Die Rückmeldungen waren bisher durchweg positiv, da der Umstieg vorher gut vorbereitet war, indem passende Wasserspender und Gefäße erprobt wurden. Die Akzeptanz ist auch deshalb sehr hoch, da die Umstellung meist mit interner (sowie externer) Kommunikation einhergegangen ist und dadurch die vielen Vorteile aufgezeigt wurden - und das Ganze nicht als Sparmaßnahme missverstanden wird.

Das Umweltbundesamt in Dessau wurde ebenfalls ausgezeichnet. In der Kantine gibt es schon seit längerem kostenfreies Trinkwasser in einem Wasserspender, was gut angenommen wird. Die Auszeichnung hatte sich etwas verzögert, da erst intern geklärt werden musste, dass auch die Fördermittelnehmer bei Veranstaltungen auf Trinkwasser aus dem Hahn setzen müssen.

Mittlerweile gibt es über 210 leitungswasserfreundliche Organisationen, zu denen u.a. auch Betriebe und Büros zählen, bei denen es die eigene Nachhaltigkeitsstrategie ganz einfach ergänzt. So nutzt ein Berliner Hersteller von Spielesoftware das eingesparte Budget, um weitere nachhaltige Maßnahmen zu finanzieren. In einem Video haben wir drei Unternehmen besucht, die mit ihren Erfahrungen beim Leitungswasser-Trinken inspirieren: https://www.youtube.com/watch?v=vG671fmYN_E

Zusätzlich gibt es eine Übersicht mit Erfahrungen aus verschiedenen Bereichen: https://atiptap.org/beratung

Außerdem nehmen es sich auch immer Schulen vor, Zugang zu Trinkwasser zu schaffen, sei es aus ökologischen Gesichtspunkten oder zur Gesundheitsprävention für die Schüler*innen. Im Schulkontext haben wir gute Erfahrungen mit robusten und wartungsarmen Lösungen ohne Kühlung, Sprudel etc. gemacht, um auch die Folgekosten gering zu halten. Für mehr Informationen kann das regelmäßig stattfindende Online-Seminar “Trinkbrunnen und Leitungswasser in Bildungseinrichtungen” gebucht werden1.

 

7. Wenn Sie mich jetzt als Verpflegung Verantwortliche(r) vom Leitungswasserangebot nun überzeugt haben und ich möchte es umsetzen. Wo fange ich da am besten an? Wie gehe ich vor?

  • Zunächst sollten die Bedarfe der Mitarbeitenden, die räumlichen und finanziellen Möglichkeiten analysiert werden.
  • Wie viele Personen müssen versorgt werden?
  • Wie viele Geräte braucht es also oder reicht ein schöner Wasserhahn und gegebenenfalls Tischaufsprudler in der Teeküche?
  • Wird Sprudel/Kühlung gewünscht oder reicht ein einfacherer Trinkbrunnen?
  • Welche Flaschengröße wird benötigt?
  • Es gibt viele Hersteller von technischen Lösungen, weshalb sich ein Vergleich der Optionen, auch ob Kauf oder Miete, lohnt.
  • Wo stelle ich die Geräte auf?
  • Braucht es z. B. eines pro Stockwerk?
  • Wo ist der Wasseranschluss in der Nähe, um die Anschlusskosten zu minimieren?

Hat man sich für ein System bzw. Modell entschieden, kann es auch empfehlenswert sein, vor Inbetriebnahme einen Wassertest auf Schwermetalle durchzuführen, um Zweifelnden Gewissheit über die Qualität der Rohrleitungen zu geben. Dies kann über den lokalen Wasserversorger geschehen.

Überhaupt macht es Sinn, die Mitarbeitenden mit einzubinden und Zuständigkeiten zu klären. Die Umstellung und die damit verbundenen Vorteile sollten intern kommuniziert werden und Raum zum Klären von Fragen gegeben werden. Involviert sind insbesondere das Servicepersonal, die die Patienten mit Wasser versorgen, die Küchenkräfte für die Reinigung und Sicherstellung der Hygiene, Pflegekräfte, die beim ausreichenden Trinken unterstützen.

Falls die Einrichtung die Verpflegung über eine externe Belieferung erhält, sollte vorab mit dem Anbieter die Veränderung der Lieferung besprochen werden. Ggf. sind Vereinbarungen über die Abnahme von Flaschenwasser getroffen worden, die erst gekündigt bzw. auslaufen müssen.

Abgerundet wird der Umstieg durch eine kommunikative Begleitung, wie z. B. mit eigens gebrandeten Flaschen, einem Artikel auf der Webseite oder in der Zeitung, eine Auszeichnung als Leitungswasserfreundlich. Auf www.atiptap.org finden sich viele digitale Infomaterialien, um Kolleg*innen vom Leitungswasser zu begeistern.